Möbius, Ingo: Ein Grenadier entscheidet eine Schlacht
Die Erinnerungen von Günter Halm, dem jüngsten Ritterkreuzträger des Afrikakorps
Die Erinnerungen von Günter Halm, dem jüngsten Ritterkreuzträger des Afrikakorps
In der Kriegsgeschichte wurde oft der Ausgang einer Schlacht oder gar eines
Krieges durch die Tat oder die Tapferkeit eines Einzelnen entscheiden, meist
war es die Entscheidung eines Generals oder eines hohen Offiziers, selten aber
die eines einfachen Soldaten.
Der deutsche Afrikafeldzug im Zweiten Weltkrieg war ein ständiges
Improvisieren. Neben Erwin Rommel, dem deutschen Oberbefehlshaber auf diesem
Kriegsschauplatz, gab es mehrfach herausragende Einzelpersonen, die dem Verlauf
der Kämpfe eine plötzliche Wendung gaben.
Am 22. Juli 1942 war es ein einfacher Grenadier, der den Verlauf eines
wichtigen Gefechtes in der Ersten Schlacht von El Alamein entscheidend
beeinflußte. Als Richtschütze stand er an jenem Tag an einem allein in der
Wüste eingegrabenen Pak-Geschütz, als genau an dieser Stelle eine britische
Panzerbrigade mit zusammen 120 Panzern durchbrechen wollte. Günter Halm nahm
den Kampf an, die Entscheidung von Sekunden veränderte von da ab sein ganzes
späteres Leben.
In diesem Buch blickt er zurück. Halm erzählt von seinem Weg nach Afrika,
den Kämpfen in der Wüste, dem Tag von El Alamein, seiner glücklichen Heimkehr
und der anschließenden Ausbildung zum Offizier, seinem Einsatz an der
Invasionsfront des Jahres 1944, seiner Zeit in amerikanischer Gefangenschaft
und vom zivilen Neuanfang. Günter Halm erzählt dabei von einem Leben über drei
unterschiedliche Zeitepochen.
2. überarbeitete Auflage
387 Seiten, 189 bisher unveröffentlichte Fotos und Abbildungen, gebunden
„ ...
Es war um dem 5. Juni
1942. Wir standen einsam in der Wüste, während in unserem Rücken erbitterte
Kämpfe ausgetragen wurden. Plötzlich der alarmierende Ruf unseres Postens,
schwarze Punkte in der flimmernden Hitze, die auf uns zurollen. Elektrisiert fuhren
wir hoch, alle Lethargie ist verschwunden, blitzschnell wurden Geschütz und
Munition gefechtsbereit gemacht.
Da fuhr ein
Panzerspähwagen an uns vorbei in Richtung Gegner und wir erkannten unseren
Generaloberst Rommel, der ins Niemandsland fuhr und mit einem Fernglas den
anrückenden Gegner beobachtete. Sie kamen näher und auch wir erkannten jetzt
die Panzer, etwa 40 an der Zahl, die weit auseinander gezogen auf uns
zurollten. Vorweg zwei Führungspanzer, die wir an ihren Wimpeln erkannten.
Jeder Führungspanzer war damit ausgerüstet und daher leicht für uns
auszumachen.
Da kam Rommel zurück und
rief uns zu: „Jungens, da hinten kommen sie. Laßt mir ja keinen durch.“ 100 m
hinter unserer Kanone verließ er sein Fahrzeug und ging in Deckung, während der
Spähwagen nach hinten verschwand.
Wir rissen den
Mündungsschoner herunter, luden eine Panzergranate und warteten. Ich stand mit
einer weiteren Granate an der rechten Seite, als der Unteroffizier „Feuer“
schrie. Die Kanone stand dieses Mal fest. Wir hatten die Holme gut festgelegt.
„Vorbei“, rief Leutnant Skubovius, der mit dem Fernglas beobachtete. Als auch
der dritte Schuß vorbei ging, rief ich: „Hans, laß mich mal“, setzte mich
hinter das Zielfernrohr, wollte die Entfernungseinstellung korrigieren, die
völlig verkehrt eingestellt war, als der Unteroffizier wieder „Feuer“ schrie.
Gerd Prokorni, der Ladeschütze, zog ab. Ich saß jedoch noch nicht richtig auf
meinem Platz. Beim Rückstoß wurde mein Bein zwischen Holm und Rad eingeklemmt
und ich kriegte das Zielfernrohr vor den Kopf. Natürlich war auch dieser Schuß
wieder daneben gegangen. Jetzt reichte es mir, ich flippte aus und brüllte den
Unteroffizier an: „Wenn einer den Feuerbefehl gibt, bin ich es.“ Einzig und allein der Richtschütze kann den
Befehl zum Feuern geben. Das ist doch ganz klar, ich muß mit dem Zielfernrohr
erst das Ziel erfassen und dann kann ich schießen. Wir können doch nicht weiter
einfach Löcher in die Luft ballern.
Ich schaute mir das
Zielfernrohr an, es war auf 2.500 m eingestellt, die britischen Panzer waren
jedoch schon auf 800 m ran. Dann war es ja auch kein Wunder, daß unsere
bisherigen Schüsse alle über das Ziel hinweg gegangen waren. Der Blickwinkel
war durch den schmalen Sehschlitz im Schutzschild sehr beengt. Ich schätzte
etwa 10 Grad. Die rechte Hand war an einer Kurbel für Hoch- und Tiefstellung
des Rohres, die linke an der zweiten für die vertikale Richtung. Ich
korrigierte die Einstellung, visierte den Panzer mit dem Führungswimpel an und
löste den Schuß. „Treffer“, schrie dieses Mal Leutnant Skubovius. Schnell den
zweiten Führungspanzer anvisiert, Feuer und erneut war ein Panzer außer Gefecht
gesetzt. Da drehte die ganze Armada ab und verschwand in der Wüste.
Rommel erschien wieder auf
seinem Panzerspähwagen und rief uns zu: „Jungens, das habt Ihr fein gemacht.“
Anschließend fuhr er hinter dem abziehenden Gegner her, um zu erkunden, wo sie
blieben. Es war ein Angriff einer britischen Panzerbrigade, die unseren Kampfverbänden
vom Osten kommend in den Rücken fallen sollte.
Seit diesem Tag war ich
Richtschütze und ich erhielt für diesen Kampf später das Eiserne Kreuz II.
Klasse. Der erneute Zusammenprall mit Unteroffizier Jabek blieb dieses Mal ohne
Folgen. Er hat auch nie wieder Feuerbefehle erteilt. Ob Hans Wulf, genau wie
ich, überhaupt ausgebildeter Panzerjäger war, das weiß ich nicht. Jedenfalls
hatte er sich als Richtschütze nicht bewährt. Er war Oberschütze, wir anderen
einfache Grenadiere, so war er Schütze 1 geworden. Untereinander haben wir über
den Austausch nie ein böses Wort gesprochen, er hat sich nie beschwert.
Es war wie auf dem
Schießstand daheim gewesen. Doch die Freude am Erfolg hielt nicht lange an.
Gerd Prokorni und ich waren neugierig und machten uns auf den Weg zu den
abgeschossenen Panzern, die in etwa 500 m Entfernung vor unserem Geschütz
standen. Leichter Rauch kam noch immer aus den offenen Turmluken. Wir stiegen
hinauf und bei dem Bild, welches sich uns bot, erstarrten wir und bekamen das
Grauen. Zwei tote Engländer, kaum noch als Menschen zu erkennen. Sie waren
durch mich gefallen, doch was hätten sie mit uns gemacht, wenn der Angriff
gelungen wäre? Warum müssen wir uns bekämpfen? Wir haben doch alle Vater und
Mutter, oder Familie.
Zwei englische Panzerspähwagen
erschienen, sie wollten wohl nach ihren Kameraden sehen. Und nun begann eine
wilde Hetzjagd um die Panzer, bis ein Warnschuß aus unserer Kanone sie wieder
vertrieb.
Rommel führte von vorn,
zum Ärger seines Stabes. Er war selbst oft mit dem Fieseler Storch unterwegs,
um Stellungen und Stärke des Gegners zu erkunden. Wenn ein Angriff liegen
blieb, blieb er bei seinen Soldaten in vorderster Front und setzte seine ihm
direkt unterstellte Kampfgruppe an. Wo sich Rommel befand, war der entscheidende
Angelpunkt der Schlacht. Seine Anwesenheit wirkte stimulierend auf die Truppe.
Oft tauchte er auch mit seinem Spähwagen völlig überraschend und allein aus der
Wüste auf, so wie bei unserem Einsatz bei Bir Hacheim. Daß wir unseren ersten
Einsatz direkt unter den Augen unseres Oberbefehlshabers erfolgreich
durchstanden hatten, erfüllte uns mit Stolz.
Wir hatten unser erstes
Gefecht geschlagen, hatten aber auch die ersten Gegner getötet. Den
beschriebenen Anblick werde ich nie vergessen.
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